FAU-Studie zeigt: Reform der Bundesagentur für Arbeit hat anders gewirkt als erwartet
Weniger Vermittlung, mehr Aktivierung
Sie gelten als ein wichtiger Grund für die relativ gute Arbeitsmarktentwicklung hierzulande: die Hartz-Reformen zwischen 2003 und 2005. Mit ihnen wurde 2004 auch die Organisationsstruktur der Bundesagentur für Arbeit (BA) umgebaut. Hinsichtlich der Effektivität der Reform kommt eine wissenschaftliche Studie an der FAU nun zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Die neu aufgestellte BA hat ihre eigene Fähigkeit, offene Stellen und Arbeitslose zusammenzubringen, nicht verbessert. Stattdessen erhöhte eine bessere Aktivierungspolitik der BA die Nutzung der privaten Suchkanäle durch Arbeitslose und dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass diese eine neue Stelle finden.
In seiner wissenschaftlichen Analyse kommt Prof. Dr. Christian Merkl, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik, an der FAU WiSo, zu dem Ergebnis, dass die Umstrukturierung der BA im Jahr 2004 die aggregierte Arbeitslosigkeit in Deutschland zwar um fast einen Prozentpunkt gesenkt hat, jedoch anders als erwartet. Gemeinsam mit Timo Sauerbier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Makroökonomik, zeigt er, dass der Anteil an Jobs, die über die BA vermittelt wurden, nach der Reform sogar kleiner war als vor der Reform (acht Prozent statt elf Prozent). „Gleichzeitig ist mit dem Rückgang des Vermittlungsanteils der BA aber auch die Arbeitslosigkeit gesunken und der Anteil der bei der BA gemeldeten freien Stellen gestiegen, was durch die Brille unseres quantitativen Modells nahelegt, dass die BA zwar besser geworden ist, aber eben nicht in der Hinsicht, wie erwartet“, sagt Prof. Dr. Christian Merkl.
Stattdessen hat die neu aufgestellte BA zu einer besseren Aktivierungspolitik und damit letztendlich zu mehr Matches über den privaten Arbeitsvermittlungsmarkt (Jobportale, Stellenausschreibungen in Zeitungen etc.) geführt, konstatiert der FAU-Wissenschaftler: „In der neuen Struktur wurde jede*r Arbeitslose einem*r bestimmten Sachbearbeiter*in zugeordnet und zugleich die Zahl der zu betreuenden Arbeitslosen reduziert. Dadurch konnten die Sachbearbeiter*innen die Arbeitslosen erstens über eine individuellere Betreuung besser in die Lage versetzen, den privaten Markt effektiver zu nutzen, was die individuellen Kosten für die private Suche gesenkt hat. Zweitens haben die Sachbearbeiter*innen wert Möglichkeiten bekommen, durch Sanktionierungen Druck auszuüben, was die individuellen Kosten erhöht hat, wenn keine private Suche durchgeführt wurde.“
Wichtige Lektion für andere europäische Länder
In der Tat zeigen deskriptive Daten erhebliche Sanktionsaktivitäten nach der Hartz-III-Reform und zugleich einen deutlichen Anstieg von Suchaktivitäten auf dem privaten Arbeitsvermittlungsmarkt. Sowohl mehr Unterstützung als auch mehr Sanktionen für Arbeitslose entsprachen der neuen Strategie der BA im Rahmen der Hartz-Reformen („Fordern und Fördern“). „Wir können zeigen, dass die umstrukturierte BA, dazu beigetragen hat, Arbeitslose dazu zu drängen, den privaten Vermittlungsmarkt aktiver zu nutzen, anstatt Arbeitslose und offene Stellen besser direkt miteinander in Verbindung zu bringen. Da die Sachbearbeiter*innen ihre Kund*innen in der neu strukturierten Organisation besser kannten, konnten sie sie besser unterstützen und herausfordern“, erklärt Prof. Dr. Christian Merkl.
Mit seiner wissenschaftlichen Studie hat Prof. Dr. Christian Merkl eine bis dato existierende Forschungslücke geschlossen. Während die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der Arbeitslosengeldreform 2005 in der wissenschaftlichen Praxis viel Beachtung gefunden haben, wurde dagegen den gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmarkteffekten der Neuordnung der BA im Jahr 2004 nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das haben die FAU-Wissenschaftler auf Grundlage von bislang in dieser Dimension ungenutzten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), der größten und am längsten laufenden multidisziplinären Langzeitstudie in Deutschland, sowie der IAB-Stellenerhebung getan.
Für Prof. Dr. Christian Merkl lässt sich daraus eine entscheidende Erkenntnis ableiten: „Dies ist eine wichtige Lektion für andere europäische Länder, in denen es oft auch öffentliche Arbeitsvermittlungsbehörden gibt. Das deutsche Beispiel lehrt nicht, wie die öffentliche Vermittlungstätigkeit verbessert werden kann. Stattdessen macht es deutlich, wie eine öffentliche Arbeitsvermittlungsbehörde umstrukturiert werden muss, damit die private Jobsuche zunimmt und damit die Gesamtarbeitslosigkeit sinkt.“
Studie online auf VoxEU. Das zugrundeliegende Forschungspapier wurde im IMF Economic Review akzeptiert. Diese Zeitschrift ist laut dem gängigsten deutschen VWL-Ranking in der Kategorie A.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christian Merkl
Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik
Tel.: 0911/5302-95337
christian.merkl@fau.de
Timo Sauerbier
Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik
Tel.: 0911/5302-95752
timo.sauerbier@fau.de